Klavierspielen ist in den Augen vieler Menschen eine Frage des Talents oder bei den etwas Informierteren auch eine Frage der ausdauernden Übung. Jeder, der selbst Klavier spielt, weiß, dass es eine Menge Übung braucht um dabei gut zu werden.
Vielleicht lernt man ja gleich als erstes ein relativ schwieriges Stück. Aber wie lange hat man dafür gebraucht? Ist man deswegen schon gut beim Klavierspielen?
Umso mehr man dann spielt und übt und spielt, desto schneller wird man beim Stücke lernen. Desto flüssiger kann man vom Blatt spielen. Desto gleichmäßiger hört sich das eigene Spiel an. Ist man deswegen schon gut? Keine Ahnung, aber unterwegs lernt man noch eine Menge mehr.
Erkenntnisse durchs Klavierspielen
Beginnen wir mit einer einfachen Beobachtung.
Reaktionen auf andere Spieler
Wenn man das Stück nicht kennt
Vielleicht hörst du jemanden ein Stück spielen, das du noch nicht kennst. Das ist bei mir ehrlich gesagt der am häufigsten auftretende Fall. Dann überkommt einen irgendwie sofort der starke Wille dieses Stück auch zu spielen – besonders, wenn man das Stück mag.
Ist das jetzt Neid, Imitation oder einfach nur die Freude ein Stück gefunden zu haben, das gut klingt, sobald man es spielen kann? Ich bin mir irgendwie nicht so ganz sicher und hoffe, dass bei mir hauptsächlich der letzte Punkt zutrifft.
Das ist nämlich eine der Hauptmotivationen, wegen denen man sich ein Stück selbst aussuchen würde. Weil man weiß, dass es gut klingt. Es ist sozusagen die Garantie, das man das Ergebnis auch mag, sobald man eine Menge Arbeit hineingesteckt hat, um es zu lernen.
Die Erkenntnis ist als, dass das Wissen, das einem das Ergebnis gefallen wird, eine hervorragende Motivation ist, um mit dem Üben anzufangen.
Wenn man das Stück schon kennt
In diesem Fall gibt es verschiedene Varianten.
Vielleicht hast du es noch nie selbst gespielt und wirst jetzt wieder inspiriert es auch zu lernen, wie im ersten Fall.
Alternativ kann es aber auch sein, dass du das Stück selbst gerade eben lernst, und mit deinem eigenen Fortschritt unzufrieden bist. Das kommt recht selten vor, aber trotzdem habe ich jetzt schon wiederholt folgende Reaktion bei mir bemerkt: Bewunderung, dass die andere Person es so gut spielen kann. Die spielen bestimmt viel besser Klavier als ich selbst. Ich kann es einfach gar nicht.
Dabei merkt man, wie leicht man nur das Ergebnis sieht und den Weg dahin völlig ausblendet. Besonders bei den Errungenschaften anderer. Man sieht nur das Endergebnis und hält sie für absolute Genies, weil man sich den Weg einfach nicht automatisch vorstellt.
Viel besser wäre es doch sich in den eigenen Bemühungen bestärkt zu fühlen, weil andere es ja auch geschafft haben das Stück zu lernen. Aber so reagiert man leider nicht automatisch. Das muss ich mir auf jeden Fall noch angewöhnen.
Eine wiederum andere Variante ist, dass man das Stück selbst schon flüssig spielen kann, wenn man der anderen Person zuhört.
Dann kann man mal wieder bemerken, wie leicht es einem doch fällt, die Fehler zu bemerken und die Leistung gar nicht zu würdigen. Man muss es sich wirklich willentlich angewöhnen das kritisieren sein zu lassen und die tatsächlich bestehenden Leistungen zu loben, die man nur einfach nicht automatisch bemerkt.
Das ist gar nicht so einfach, aber auf jeden Fall notwendig, sonst fällt es der anderen Person noch schwerer vor anderen zu spielen und man selbst steht in einem schlechten Licht da.
Denn eines ist klar
Vor anderen Spielen ist nicht leicht
Man ist einfach viel zu sehr an die eigene Leistung gebunden. Man setzt den eigenen Selbstwert mit den Klavierspielfähigkeiten gleich und schon ist es praktisch nicht mehr möglich sich so weit zu öffnen, dass man tatsächlich vor anderen spielen kann.
Was wenn sie negativ reagieren? Heißt das dann nicht, dass man selbst nichts wert ist?
Derartige Fragen schwirren einem mehr oder weniger bewusst durch den Kopf und man wird sie einfach nicht mehr los.
Aber man muss sich einfach der Welt zeigen. Anders kann man sich nicht daran gewöhnen. Nur die Schocktherapie kann einem zeigen, dass die meisten positiv reagieren werden. Und die paar, die doch auf deinen Fehlern herumreiten, die sind halt einfach noch nicht so reif. Sie werden es schon noch lernen.
Und man darf sich einfach nicht über die eigenen Klavierspielfähigkeiten definieren lassen. Wie gut du Klavierspielen kannst, hat nichts damit zu tun, wie gern wir dich haben.
Das gilt natürlich auch für alles andere, was einem wichtig ist. Wenn man es nicht der Welt zeigt, lernt man es nie. Sieh es doch als Experiment an, dem du die andere Person unterziehst. Je nachdem wie sie reagiert ist sie es wert mit dir befreundet zu sein. Du hast nichts zu verlieren, wenn du dich öffnest. Nur die andere Person kann ihren in dieser Hinsicht noch mangelhaften Charakter beweisen.
Und noch eine interessante Beobachtung: In der exklusiven Anwesenheit von Leuten, die man kennt, insbesondere Leuten, die einen schon mal haben spielen hören, ist die Hemmschwelle viel niedriger mal wieder zu spielen. Das betätigt die Erkenntnis, dass der Hauptgrund für die Angst vor dem Vorspielen die Tatsache ist, dass man nicht weiß wie die anderen Reagieren werden. Du musst dir also die im vorherigen Absatz beschriebene Sache klar machen: Du selbst hast nichts zu verlieren. Nur die Zuhörer können sich durch unangebrachtes Verhalten blamieren.
Wenn man wirklich will…
Darüber habe ich schon mal einen ganzen Artikel geschrieben, aber die Wahrheit dieser Aussage hat sich natürlich nicht geändert: Wenn man wirklich will, kann man viel mehr erreichen, als man für möglich gehalten hätte.
Zum Beispiel kann man sich dann dazu motivieren monatelang regelmäßig zu üben. Und plötzlich kann man 20, 30 Stücke auswendig spielen, weil man einfach nur jede Woche ein weiteres Stück dem Repertoire hinzugefügt hat.
Schaffst du ein neues Stück pro Woche zu lernen? Oder willst du dir lieber ein 2 Wochen Ziel vornehmen?
Hauptsache, du vergisst die Stücke nicht wieder, wenn du sie schon mühsam gelernt hast.
Der Hauptbaustein für einen derartigen Erfolg ist aber folgendes: das du es schaffst die Zukunftsvision zu behalten, die dich ursprünglich motiviert hat. Wenn du nicht mehr daran denkst, wird sie in ein paar Tagen verblasst sein und plötzlich hast du wieder besseres zu tun, als jeden Tag zumindest ein bisschen zu üben.
Schreibe dir also dein Warum auf!
Und noch etwas Weiteres bestätigt sich dann erneut: Die Macht des täglich Übens. Man macht unglaubliche Fortschritte, wenn man jeden Tag ein kleines bisschen Zeit investiert. Fortschritte die überhaupt nicht möglich waren, als man noch einmal alle 2 Wochen geübt hat.
Das gilt sogar, wenn man gleich viel Zeit investieren würde. 12 mal eine Viertelstunde konzentriertes Üben bringt einfach viel mehr als 3h auf einmal zu spielen, selbst wenn man sich so lange konzentrieren könnte.
Und wenn man dann auch noch regelmäßig die alten Stücke spielt, vergisst man sie auch nicht wieder, sondern hat ein stetig wachsendes Repertoire von Stücken, die einem gefallen und die man flüssig auswendig spielen kann.
Aber eine Abschließende Sache möchte ich noch betonen: Es gibt einen Unterschied zwischen auswendig, flüssig und bühnenreif. Wie perfektionistisch willst du üben?
Solange du bis zum flüssigen Stadium kommst, stellt sich der Rest mit der Zeit ein. (Ausdruck, Kaltblütigkeit in Angesicht eines Publikums, …)
Und jetzt noch eine abschließende Erkenntnis, die sich auch mal wieder hier beim Klavierspielen bestätigt:
Die Grundlagen sind das Wichtigste
Es bringt dir einfach nichts eine Menge schicke Techniken zu können, wenn du keine grundlegenden Akkorde greifen kannst. Oder du lernst in monatelanger Arbeit ein schwieriges Stück und kannst dann leichte trotzdem nicht vom Blatt spielen, wie es eigentlich bei Spielern üblich ist, die dieses schwere Stück spielen können.
Lerne zuerst die Grundlagen. Und zwar so gut, dass du sie selbstständig in nahezu unendlichen Kombinationen verbinden kannst. Dann brauchst du gar keine schicken Schnörkel, um gut zu spielen. Die Feinheiten kommen dann mit der Übung.
Ich hoffe, das konnte dich inspirieren, auch bei deinen eigenen Hobbys nach Erkenntnissen zu suchen.
Wenn man ein bisschen offen dafür ist, kann man nämlich an vielen Stellen alte Erkenntnisse bestätigt sehen und auch neues dazulernen.
Julian