Wie man Sachen bis zum Ende durchdenken kann

Ich bewundere Leute, die Sachen bis zum Ende durchdenken, oder es zumindest schon mal gemacht haben, und mir diese Errungenschaft jetzt präsentieren.

Man fühlt sich meistens etwa folgendermaßen:

Zuerst ist man noch auf dem Level, dass man sich die meisten Sachen auch schon mal gedacht hat. Dann liest man den Text halt noch ein bisschen weiter oder hört höflich noch ein bisschen zu – auf der Suche, nach der neuen Erkenntnis.

Und dann irgendwann kommt man zu der Stelle, bei der man sich denkt: oh, warte mal, warum hab ich mir das bis jetzt noch nicht gedacht? Man ist auf die erste Erkenntnis gestoßen, die man selbst noch nicht hatte. Einfach weil man noch nicht lange genug darüber nachgedacht hat.

Und jetzt wird es auch nicht besser. Bei richtig guten Büchern hast du nämlich gerade erst mal die Einleitung gelesen. Dann geht es einfach immer so weiter. Der Autor präsentiert dir eine Erkenntnis auf eine so logische Weise, dass du dich gar nicht vor ihr wehren kannst. Vielmehr denkst du dir: warum bin ich da selbst noch nie drauf gekommen? Man muss doch nur ein bisschen darüber nachdenken!

Und dann noch eine Erkenntnis und noch eine Erkenntnis und noch eine. Und einen ganzen Haufen Konsequenzen, die daraus folgen, über die du natürlich auch noch nicht nachgedacht hast. Plus natürlich noch mehr Erkenntnisse. Und bei allem denkst du dir so: Das ergibt voll Sinn, warum bin ich da noch nicht selbst drauf gekommen?

Aber das ist nun mal nicht so einfach. Sonst wären wir alle weise.

Aber genau deswegen haben diese Leute ja auch Bücher geschrieben. Um ihre Erkenntnisse an alle weiterzugeben, die noch nicht so viel in diese Richtung nachgedacht haben. Man kann sich schließlich nicht über alles Gedanken machen.

Und doch ist bei den meisten noch eine Menge Kapazität zum Sachen weiter- und möglicherweise bis zum Ende durchdenken verfügbar.

Sachen bis zum Ende durchdenken

Wir haben ja schon geklärt, dass es ziemlich cool ist, Sachen bis zum Ende durchdacht zu haben. Besonders wenn man diese Erkenntnisse dann auch nutzt, um besonders gut zu leben oder zu handeln. Oder was auch immer.

Vielleicht schreibt man ja ein Buch und wird berühmt.

Aber es ist gar nicht so einfach. Es gibt nämlich ein Problem: Sachen bis zum Ende durchdenken…

… ist contra-intuitiv

Normalerweise drehen sich unsere Gedanken eher im Kreis, als dass sie sich immer weiter nach vorne bewegen und dabei zu solchen Erkenntnissen kommen, wie ich sie oben beschrieben habe.

Deine Gedanken drehen sich um aktuelle Probleme. (Nicht um deren Lösungen, auch wenn die dann doch auch ab und zu Beachtung finden.) Sie überlegen den nächsten Schritt. Und zwar 5 mal bevor du ihn tatsächlich ausführst. Sie wiederholen ständig was man noch alles erledigen will. Sie drehen sich immer weiter im Kreis.

Nur ganz selten brechen sie mal daraus aus und du arbeitest dich systematisch nach vorne.

Genau hier liegt der Knackpunkt. Systematisch. Du hast es irgendwann einmal gelernt, genau so zu denken.

Das im Kreis denken ist die Standardvariante. Das kann jeder. Aber kannst du bereits gerade aus denken, immer weiter und weiter, Sachen bis zum Ende durchdenken?

Wenn nicht ist das nicht schlimm. Jeder, der das bereits kann, musste es auch erst mal lernen. Du machst es halt jetzt.

Die Schleife durchbrechen

Jeder kennt die einfachste Möglichkeit diese Schleife zu durchbrechen. Und doch wird sie viel zu selten angewandt. Sie wird sozusagen reserviert für besonders ernste Fälle. Alle anderen Gedanken, die gerne weiter gedacht werden würden, haben einfach Pech gehabt.

Wovon rede ich?

Denk mal zurück zum letzten Mal als du Beziehungsprobleme hattest. Hast du dir da jemanden geschnappt und darüber geredet? Dann wird dir bestimmt aufgefallen sein, wie hilfreich es sein kann, wenn dir jemand einfach nur zuhört. Dann kannst du all die Sachen, die in deinem Kopf herumschwirren aus dir heraus holen.

Und wenn sie dann nicht mehr in deinem Kopf sind, hast du zum einen mehr Platz für neue Gedanken und weiterführende Problemlösungen. Du hast dann aber vor allem auch einen viel besseren Überblick, über alle relevanten Fakten. Dann fällt dir bestimmt noch mehr dazu ein und noch mehr. Und irgendwann zeichnet sich dann eine Konsequenz aus diesem ganzen Durcheinander ab, die du vorher einfach gar nicht erkennen konntest.

Sobald du Sachen ausgesprochen hast, ist dein Kopf leerer. Dann hast du Platz für neue Erkenntnisse und die Möglichkeit das, was du gerade gesagt hast, weiter zu denken.

Das ist der Grund warum man sich gleich viel klarer im Kopf fühlt, wenn man mit jemandem über etwas geredet hat.

ist auch ohne zweite Person möglich

Das hat damit zu tun, dass schreiben ähnlich gut funktioniert wie reden. Es geht vielleicht nicht so schnell, dafür hast du im Nachhinein gleich alle Gedanken sichtbar vor dir und eine wunderbare Möglichkeit, um dich an sie zu erinnern.

Eine besonders beliebte Variante vom aufschreiben, anstatt vor einer anderen Person aussprechen, ist das in ein Tagebuch schreiben. Dabei kannst du auch all die Dinge erleben, die ich eben beschrieben habe.

Alternativ ist aber auch Freewriting eine ziemlich gute Option. Vielleicht entwickelst du auch einfach deine ganz persönliche Variante. Das wäre natürlich besonders cool.

Diesen Prozess verstehen und gezielt ausnutzen

Das ist immer der nächste Schritt, sobald man etwas erkannt hat. Wie kann ich das nutzen?

Ich habe mir jedenfalls Gedanken über den eben beschriebenen Prozess gemacht und bin bei folgendem Ablauf angekommen:

1. Vogelperspektive

In Phase eins hältst du alle Gedanken fest, die du hast. Danach betrachtest du sie von möglichst weit außen und versuchst eine objektive Erkenntnis zu formulieren.

Das ist das, was ich schon beschrieben hatte. Sobald du alles aufgeschrieben oder ausgesprochen hast, was dir zu dem Thema einfällt, kannst du es aus einer ganz anderen Perspektive betrachten, als wenn es alles nur in deinem Kopf herumschwirrt.

Dann wirst du fast automatisch Sachen erkennen, die dir vorher verborgen geblieben sind.

Und mit diesen Erkenntnissen arbeitest du jetzt weiter.

2. in die Breite gehen

Du hast jetzt eine objektive Erkenntnis, die all das zusammenfasst, was du bei 1. noch gedacht und aufgeschrieben hast.

Dann nutzt du das als Basis für weitere Gedanken. Sei neugierig und kreativ was dir noch alles dazu einfällt.

Welche weiterführenden Fakten, die das betreffen, kennst du? Welche Ursachen oder Gründe fallen dir für das ein, was du eben ausformuliert hast? Auf welche ähnlichen Situationen lässt sich diese Erkenntnis übertragen? Was müsste dann abgeändert werden?

Es geht darum möglichst viel Gebiet mit deinen Gedanken zu erkunden. Nur so sind weitere fundierte Erkenntnisse möglich.

1. Vogelperspektive

Jetzt nutzt du die Tatsache aus, dass du all diese Dinge präsent hast, die du dir eben überlegt hast. Da du sie ja natürlich auch schon aufgeschrieben hast, kannst du jetzt wieder aus der Vogelperspektive nach Zusammenhängen suchen, die das alles zusammenbinden und noch tiefer gehen als alles, was du bisher ausformuliert hast.

Kannst du diese Ahnung in Worte fassen, die sich jetzt andeutet?

2. in die Breite gehen

Sobald du wieder die obersten Zusammenhänge ausformuliert hast, gehst du wieder in die Breite. Da gibt es noch viel mehr, was du erkennen kannst. Man ist nie bei der absoluten Wahrheit angelangt.

Und sobald du wieder Infos gesammelt hast, kommt wieder Schritt 1: objektive Erkenntnisformulierung aus der Vogelperspektive. Und dann wieder Schritt 2: in die Breite gehen. Und dann wieder Schritt 1.

immer weiter Vorwärts kommen

Wenn du diese Schritte nacheinander ausführst, wirst du auf dem Pfad der Erkenntnis automatisch immer weiter vorwärts kommen. Immer abwechselnd bringen sie dich dazu Gedanken immer weiter zu denken.

Dann kannst du Sachen vielleicht sogar bis zum Ende durchdenken.

Aber eigentlich nicht.

Man ist nie bei der absolut grundlegenden Wahrheit angelangt. Die hat wiederum Ursachen und Gründe. Du hast außerdem bestimmt noch nicht alle Konsequenzen gefunden, die man aus dieser Erkenntnis ziehen kann.

Aber du wirst immer mehr Verständnis für die Sache erlangen, bei der du am Anfang gestartet bist, und alles andere, was dir seitdem über den Weg gelaufen ist.

Es ist nun einmal so:

Wer einmal damit anfängt, Sachen bis zum Ende zu durchdenken, der wird nie bei einem Ende ankommen. Aber der wird immer weiter und weiter kommen und dabei eine enorme Weisheit anhäufen.

Und dann schreibt diese Person hoffentlich ein Buch, um all diese Erkenntnisse an uns weiterzugeben, die wir noch keine Zeit hatten, so lange darüber nachzudenken.

Lass uns das zur Gewohnheit machen und Sachen bis zum Ende durchdenken. Dann sind nämlich wirklich enorme Erkenntnisse möglich.

Julian

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.