Ich hatte gestern die abwegige Idee eine Autobiografie zu schreiben. Dabei ist meinem Leben doch noch gar nicht so viel spannendes passiert. Wie soll ich denn eine Geschichte über mein eigenes Leben schreiben ohne mich selbst und meine Mitmenschen (die Charaktere) oder die Welt in der das Ganze spielt zu kennen?
Ok. Beim letzten Punkt ist die Situation vielleicht nicht so tragisch. Ich muss nur so viel über die Welt wissen, wie ich auch bisher wusste. Mehr weiß ja auch die Hauptperson nicht, und die erzählt das ganze ja. Das passt schon.
Ich habe aber auch gehört, dass der Autor etwa 100 mal so viel über die Welt wissen sollte, wie er den Lesern zeigt und dieses Level habe ich nicht unbedingt erreicht. Ich hab aber ehrlich gesagt auch keine Ahnung, wie viel von der Welt in einem Roman durchscheint, also kann ich das auch nicht wirklich beurteilen.
Vielleicht willst du ja selbst einmal eine Autobiografie schreiben. Und wenn nicht, ist das trotzdem eine lehrreiche Vorstellung.
Sobald du nämlich zu den Charakteren kommst, die in deiner Geschichte auftauchen werden, gibt es vermutlich plötzlich Probleme: (so ist es bei mir zumindest)
Charaktere deiner Autobiografie
Du musst alle Personen, die auftauchen werden, gut genug kennen, um sie realistisch wiedergeben zu können.
Und solange du kein Tagebuch geschrieben hast, indem du alle Interaktionen mit anderen Menschen akribisch festgehalten hast, musst du dich dabei wohl oder übel auf deine Fantasie verlassen. Deswegen ist es auch so wichtig, diese Menschen gut genug zu kennen, um sie realistisch imitieren zu können. Deine Erinnerungen sind nicht so gut wie du denkst.
Du
Du bist die Hauptperson deiner Autobiografie. Anders funktioniert das einfach nicht.
Du musst dich selbst also kennenlernen. Zeit für ein bisschen Selbstreflexion. Anders wirst du nämlich kaum bei denen Werten und Zielen im Leben ankommen.
Auch wenn du diese in dem Lebensabschnitt, den du beschreiben willst, nicht kennst, musst du sie trotzdem jetzt im Nachhinein erkennen. Ansonsten kannst du dir die Situationen nicht halbwegs akkurat vorstellen und wiedergeben.
Und andere Menschen können dir bei solchen Dingen auch nur begrenzt helfen. Solange du dich selbst nicht kennst, kannst du diese Informationen auch nicht gezielt nach außen zeigen. Stattdessen musst du dich darauf verlassen, dass deine mehr oder weniger unlogischen Handlungen trotzdem für eine andere Person Sinn ergeben. In diesem Fall kann sie dir dann ihre Erkenntnisse mitteilen. Ansonsten musst du sie immer noch selbst herausfinden.
Als Anfangspunkt, welche Informationen du über dich selbst brauchst, gebe ich dir hier mal ein paar Tipps, was man alles über einen Romancharakter wissen sollte. (Spätestens, sobald man das Buch fertig geschrieben hat)
Über dich selbst solltest du diese Sachen, nämlich vorher schon wissen.
Wichtige Informationen
Jeder Charakter in einem braucht eine Backstory und die Motivation für sein weiteres Handeln. Und die Hauptperson also erst recht. Sobald in diesen zwei Punkten Informationen fehlen, wird der Charakter flach (eindimensional).
Kein echter Mensch ist so, du also auch nicht.
Kommen wir zuerst einmal zu deiner Vergangenheit:
Deine Backstory.
Wie gut kennst du deine Herkunft? Verdrängst du sie oder akzeptierst du sie als Teil deiner Identität?
Es kann sehr hilfreich sein sich zu überlegen, wie diese Dinge, deine aktuellen Werte etc. beeinflussen. So kannst du viel leichter die wichtigen Dinge aus deiner Vergangenheit zeigen, die dem zukünftigen Leser verständlich machen, warum du so bist, wie du bist. (Ein erstrebenswertes Ziel :P)
Neben der Vergangenheit brauchst du aber auch Informationen über deine Zukunft bzw. wie du sie dir vorstellst. Nur so ergeben deine Handlungen in der Gegenwart – das was du dann in der Autobiografie beschreibst – Sinn für den Leser.
Deine Motivation/Zukunft
Also was sind deine Werte im Leben? Was hältst du ohne Begründung für wahr?
Diese Dinge findest du, indem du deine Handlungen hinterfragst und nach jeder Begründung mit einem erneuten Warum weiter fragst. Irgendwann kommst du dann an einen Punkt, wo alles was du sagen kannst: „das ist halt einfach so“ ist.
Dann hast du etwas gefunden, dass du ohne Begründung glaubst. Das ist einer deiner zugrundeliegenden Werte.
Normalerweise hat man mehrere davon, die sich noch dazu auch noch widersprechen. (Oder zumindest miteinander konkurrieren)
Von diesen ausgehend kannst du dann zu deinen Ambitionen und Zielen vordringen:
Was willst du also im Leben erreichen? Was ist die eine abstrakte Sache, die du erstrebst? Mit welcher realen Handlung/Sache gedenkst du sie zu erreichen?
Schon hast du die leitende Frage in dieser Geschichte über dein Leben: Wirst du es schaffen diese Sache zu erreichen. (Und du hast einen Sinn für dein tatsächliches Leben, nach dem du streben kannst!)
Sobald du dir dieser Dinge bewusst bist, kannst du auch dich selbst darstellen.
Eine abschließende wichtige Frage:
Worin strebst du nach Veränderung?
Ohne Veränderung keine Geschichte. Wenn alles gleich bleibt interessiert das niemanden.
Die anderen
Außer dir spielen aber auch noch andere Leute in deiner Autobiografie mit.
Um sie realistisch wiedergeben zu können, musst du all das, was du gerade über dich selbst herausgefunden hast, über diese Leute in Erfahrung bringen. Mit einem Unterschied: du kannst nicht in Ihren Kopf hineinschauen und du kannst auch mit etwas weniger Details zufrieden sein.
Du musst also genügend Informationen über sie in Erfahrung bringen, nur dadurch, dass du sie beobachtest oder mit Ihnen redest. Hast du das schon mal gemacht? Weißt du was deine Freunde/Familienmitglieder in ihrem Leben erreichen wollen?
Ich ehrlich gesagt nicht wirklich :/
Das muss ich also schleunigst nachholen!
Und du solltest es auch machen. Es kann doch nicht sein, dass du die Leute mit denen du zu tun hast, nicht konsequent wie echte Menschen mit ihrer eigenen Geschichte und Zielen behandelst, und diese Dinge dementsprechend frühestmöglich in Erfahrung bringst. Dann kannst du ihnen auch wirklich weiterhelfen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Die Veränderung
Noch ein weitere Punkt, der eine gute Geschichte ausmacht.
Ich hab es ja auch schon kurz angedeutet. Aber das ist einfach ziemlich wichtig. Ohne Veränderung gibt es keine gute Geschichte.
Veränderung in deinem Leben ist also gut. Strebe danach in Bereichen, die du verändern willst. Probleme und Hindernisse machen das Ganze nur spannender. Wie wirst du sie überwinden?
Du kannst Dinge die du verändern willst, in dir oder außerhalb suchen.
Wenn du außerhalb Probleme identifiziert hast, kannst du versuchen sie zu lösen. Dann tust du der Welt etwas Gutes und hast gleich Stoff für deine Geschichte. Erzähle, wie du dieses Ziel erreicht hast.
Wenn du in dir Probleme identifiziert hast, ist es an der Zeit zu wachsen und dich weiterzuentwickeln. Sobald sich dir dabei Hindernisse in den Weg stellen, kannst du sie bezwingen und hast auch wieder Stoff für deine Geschichte.
Du musst diese Autobiografie natürlich nicht tatsächlich schreiben, aber allein darüber nachzudenken, lässt einen schon eine Menge Dinge erkennen:
- du musst dich selbst noch besser kennenlernen
- das gleiche mit deinen Mitmenschen
- Veränderung ist gut und Hindernisse ein notwendiges Übel
Es gibt bestimmt noch viel mehr Erkenntnisse, die man aus diesem Gedankenexperiment für sein eigenes Leben ziehen könnte, aber ich weiß einfach noch nicht genug über das Schreiben 😛 (die gibt es dann vielleicht irgendwann anders :))
Julian