Die 8. Stufe der Hero’s Journey, die zentrale Prüfung, oder auch „Ordeal“ auf Englisch, teilt das Buch normalerweise in 2 Hälften. Ab und zu wird diese Szene oder Szenengruppe auch noch ein bisschen nach hinten hinausgezögert, aber dann verliert sie bald die Wirkung, für die sie eigentlich existiert. Immerhin ist der Gedanke dahinter, inmitten des Buches einen Höhepunkt einzubauen, der die Spannung nicht durchsacken zu lassen. Je weiter er also nach hinten verschoben wird, desto schwieriger wird es für den Autor die Spannung bis dahin aufrecht zu erhalten.
Die zentrale Prüfung sorgt dafür, dass der Leser die Seiten wendet, um bis zu ihr hin zu gelangen und danach, um herauszufinden, wie die Konsequenzen ablaufen. Und sobald sich in dieser Hinsicht die Situation etwas entspannt hat, sind wir schon mitten auf dem Weg zurück, der direkt auf den allerletzten Höhepunkt hinführt. Es ist eine perfekte Verteilung der Spannung-tragenden Momente. Manchmal passt es aber einfach inhaltlich nicht ganz, dann muss man diese zentrale Prüfung etwas nach hinten Verschieben. Aber normalerweise sollte man versuchen sie in der Mitte des Buches zu halten.
An dieser Stelle möchte ich aber auch nochmal anmerken, dass das nur die empfohlene Verteilung der Szenen auf die Geschichte ist. Wenn deine Geschichte etwas anderes erfordert, dann kannst du sie nach Belieben anpassen. Aber so weiß man eben am sichersten, dass es funktionieren wird.
Die zentrale Prüfung
Die zentrale Prüfung, auch bekannt als zentrale Krise ist der Punkt der maximalen Opposition beider Seiten im Buch. Danach geschieht normalerweise eine kleine Verschiebung, sodass der abschließende Konflikt stattfinden kann.
Das ist auch ein weiterer Grund, warum diese Szene in der Mitte des Buches stehen sollte: Es bleibt genug Zeit, um die Konsequenzen aller Handlungen der beteiligten ganz klar zu machen. Auf diese Weise ist das Ende des Buches dann ziemlich unumgänglich später und niemand kann sich beschweren, dass du den Konflikt aus der Luft gegriffen hast.
Immerhin sollte jede Handlung von dieser Größe deutliche Konsequenzen zeigen. Alles andere wäre unrealistisch. Ich frage jetzt schon mal: Was sind die Konsequenzen der zentralen Prüfung in deiner Geschichte?
Denke darüber nach während wir jetzt den Inhalt besprechen:
Tod und Wiedergeburt
In irgendeiner Weise wird der Held an dieser Stelle mit dem Tod konfrontiert. Vielleicht sogar zum ersten Mal so richtig ernsthaft in der Geschichte. Sehr oft schwebt er selbst in Todesgefahr. Das ist immerhin der einfachste Weg die Zuschauer in einen Zustand der höchsten Anspannung zu versetzen. Ab und zu ist es auch der Held, der an dieser Stelle tötet.
Vielleicht stirbt ein Verbündeter des Helden, vielleicht ein Gegner. Aber bevor du das als Plot-Bequemlichkeit einbaust, sollte dir ganz klar sein, dass Tod immer ernsthaft behandelt werden sollte. Wenn einfach jemand stirbt und die Geschichte ungebremst weitergeht, war das ein absolut unnötiges Geschehen. Sei vorsichtig, dass sich das auch echt anfühlt, wenn es schon an dieser Stelle geschehen muss!
Wie auch immer. Tod ist jedenfalls präsent und der Held muss damit umgehen. Auch die Zuschauer werden praktisch damit konfrontiert, vor allem wenn ein Tod mit den Augen eines Charakters beobachtet wird, in den man zu diesem Zeitpunkt hineinschaut. Wie gehen die Zuschauer damit um? Was lernt der Held in diesem Augenblick, zum Beispiel über sich selbst? Der Tod lässt das Leben viel farbenfroher erscheinen.
Der angsteinflößendste Gegner bis jetzt
An dieser Stelle der Geschichte steht der Held im gegenüber. Wie wird dieser Konflikt verlaufen? Ist er bereits der Endbösewicht und an dieser Stelle wird einfach noch keine Entscheidung getroffen? Oder ist es nur ein Unterhändler des absoluten Bösen und hier kann letztendlich noch nichts erreicht werden, was die Geschichte zu Ende bringen wird? Wie auch immer, auch der Bösewicht sollte als reale Person erscheinen.
Denk daran: Jeder ist der Held seiner eigenen Version der Geschichte. Versuche also mal die Geschichte aus der Perspektive des Bösewichts zu erzählen. Was ist sein Ruf zum Abenteuer? Auf welche Weise versucht er sein Ziel in der Geschichte zu erreichen? Wer sind seine Verbündeten? Was seine Prüfungen? Die Geschichte des Helden und die Geschichte des Bösewichts sollten sich direkt gegenüber stehen. Immer wenn der Held einen Erfolg hat, ist das eine Niederlage für den Bösewicht. Und wenn der Bösewicht einen Erfolg hat, ist das gar nicht gut für den Helden. Ist dein Bösewicht also eine reale Person? Erst dann wird diese Szene richtig wirkungsvoll.
Der Effekt
Über die Wiedergeburt haben wir bis jetzt nur ganz kurz gesprochen: Was lernt der Held durch die Konfrontation mit dem Tod? In welcher Weise wird er wiedergeboren? Welche alten Aspekte von ihm (= Charaktereigenschaften, Makel?) sind gestorben? Gab es einen Tod es Egos?
Hat die Hauptperson, bis jetzt immer als Held bezeichnet, jetzt endlich das Recht verdient Held genannt zu werden? Auf welche Weise war sie bereit für ein Opfer? Was hat sie geopfert?
Und gleichzeitig gibt es auch einen Effekt auf das Publikum. Die wurden ja durch den Filter der Charaktere genauso mit dem Tod konfrontiert, wie alle Anwesenden in der Geschichte:
Elastizität der Emotionen
Menschliche Emotionen sind ziemlich elastisch. In gewisser Hinsicht überschneidet sich das mit der hedonistischen Tretmühle, einem sehr spannenden Konzept. Jedenfalls gilt folgendes: Je tiefer das Tief der Emotionen während der zentralen Prüfung, desto höher ist automatisch das emotionale Hoch danach.
Es muss erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann. Aber dann ist der Effekt umso größer, je mehr Angst um die Charaktere oder ähnliche negative Emotionen die Zuhörer verspürt haben. Das emotionale Hoch nach der zentralen Prüfung ist sozusagen die Belohnung für die Leser, dass sie so weit durchgehalten haben. Es hat einen ähnlichen Effekt wie andere Aktivitäten, die Menschen machen, um dem Tod nahe zu kommen. Man könnte es praktisch als die dramatische Version von Bungee-Jumping ansehen.
Und auch der Held und seine Verbündeten erhalten an dieser Stelle eine Belohnung: Stufe 9, die Belohnung. Dazu kommen wir aber erst nächstes Mal.
Jetzt erst mal noch eine Frage an dich: Welche zentralen Prüfungen hast du in deinem Leben in Phasen der Veränderung (=Geschichten) durchgestanden? In welcher Weise bist du hierbei mit (sozialem?) Tod konfrontiert worden? Wie hat dich das geprägt?
Über derartige Fragen nachzudenken wird dir helfen noch bessere Geschichten zu schreiben.