Das hört sich fast schon wie ein Wunschtraum an. Sobald alle Erwartungen erfüllt sind, hat man normalerweise einen imaginären Jackpot geknackt und das unmögliche erreicht: Alle sind zufrieden mit dem Ergebnis.
In der echten Welt und in allgemeineren Szenarien als Unterhaltungen ist das praktisch nicht erreichbar. Man kann die Erwartungen anderer nur schwer manipulieren und es gibt praktisch immer Randgruppen, die etwas komplett anderes erwarten, als die Menge, auf die man sich eigentlich konzentriert. Das Ziel wird also umgeschrieben zu „die wichtigsten Personen zufriedenstellen“. Sobald ihre Erwartungen erfüllt sind, ist es nicht mehr so schlimm, wenn es andere gibt, deren Erwartungen enttäuscht sind. Das sind dann zum Beispiel die besten Kunden eines Unternehmens, die Personen, deren Bild von dir dir sehr wichtig ist, etc. Logischerweise ist es also auch wichtig diese Gruppe genau zu kennen, sobald sie zu groß und schwammig wird, hat man wieder die selben Probleme, wie wenn man alle zufriedenstellen möchte.
Können alle Erwartungen erfüllt werden?
Es gibt sogar ein Sprichwort, das ich gerade nicht genau wiedergeben kann, dessen Hauptaussage aber etwa folgendes ist: Wer jeden zufriedenstellen will, stellt niemanden zufrieden. Das liegt an einem simplen Effekt: der einzige Weg das zu erreichen liegt darin, dem eigenen Produkt (was auch immer damit gerade gemeint ist) jegliche Aussage zu entziehen. Sobald es möglicherweise Meinungen anderer widersprechen könnte, wird das auch passieren. Ein Produkt mit irgendeiner Aussagekraft, wird sicherlich auch Gegner finden, aber das ist nun mal der einzige Weg (andere) Leute dafür zu begeistern. Und doch gibt es immer wieder Versuche alle zu begeistern.
Der einfachste Weg funktioniert folgendermaßen: man beschränkt die Bemühungen auf eine gewisse Unterkategorie der Erwartungen, hält diese Erwartungen künstlich niedrig (in kleinem Maßstab ist das machbar) und übertrifft sie dadurch später auf jeden Fall. Weitere Ideen sind mir ehrlich gesagt gar nicht eingefallen. Es gibt nun mal keine guten Lösungen für dieses Dilemma, außer gewisse Randgruppen einfach zu ignorieren.
Spezialfall Unterhaltung
Kommen wir jetzt aber mal zu dem Spezialfall, um den sich dieser Artikel eigentlich drehen soll: Konversationen. Hier hat man es nicht mehr mit großen Menschenmengen zu tun, sondern wenn überhaupt einer kleinen Gruppe. Oft redet man auch einfach nur zu zweit. Außerdem bewegen sich hier die Erwartungen in einem sehr engen Rahmen. Man kann sie in ihrer Gesamtheit überblicken und sobald sie bekannt sind auch beachten. Trotzdem muss man aufpassen. Enttäuschte Erwartungen können schwerwiegende Auswirkungen haben. (Es gibt natürlich auch Unterhaltungen, bei denen man überhaupt keine Erwartungen setzen muss. Sie entwickeln sich einfach in eine Richtung, die sich im Laufe der Unterhaltung ergibt. Niemand hat irgendwelche Erwartungen außer, dass diese nette Unterhaltung weitergeht.) Aber wie sorgt man jetzt dafür, dass allen diese Erwartungen an die Unterhaltung bekannt sind und sie vor allem bei allen gleich sind?
Die kurze Antwort ist wirklich kurz: wer auch immer die Konversation gestartet hat, legt die Erwartungen aller zu Beginn fest. (Vielleicht lässt er noch Vorschläge anderer mit einfließen, oft ist das aber gar nicht nötig.)
Für die lange Antwort werde ich erst mal etwas ausholen.
Probleme mit Erwartungen
Zum einen gibt es da die enttäuschten Erwartungen. Wenn ein Gespräch sich nicht in die Richtung entwickelt, die jemand erwartet hat, wird er im besten Fall deutlich aus der Bahn geworfen. Er muss dann erst mal seine Erwartungen neu kalibrieren. (Hoffentlich findet er die Zeit dazu.) Aber was, wenn er das gar nicht möchte? Es könnten Gefühle verletzt worden sein, weil nicht in der bestimmten Art und Weise vorgegangen wurde, die jemand als absolut (moralisch) verpflichtend empfunden hat. In solchen Fällen kann es auch mal passieren, dass die enttäuschte Partei wutschnaubend die Unterhaltung abbricht beziehungsweise verletzt. Dann ist die Unterhaltung eindeutig verloren.
Ein weiteres Beispiel für enttäuschte Erwartungen wäre die Länge der Unterhaltung. Niemand mag es, wenn er sich nichts ahnend auf eine Konversation einlässt und dann womöglich stundenlang festgehalten wird – am besten mit völlig unnötigen Extrainformationen. Beim nächsten Mal wird er sich um die Unterhaltung drücken, zum Beispiel absichtlich spät zu Folge-Meetings kommen. Auch diesen Fall will man logischerweise vermeiden.
Zum anderen gibt es auch das Problem unklarer Erwartungen. Wenn jemand überhaupt nicht weiß, was er von einer Unterhaltung zu erwarten hat, warum sie initiiert wurde, beschäftigt ihn das oft stark. Das Stresslevel ist höher, man kann nicht klar denken. Viel besser wäre es da doch, gleich von Anfang an zu wissen, worum es geht und was man zu erwarten hat. So kann man sich viel besser auf die Unterhaltung konzentrieren und vor allem qualitativ hochwertiger dazu beitragen. Das ist doch für alle wünschenswert.
Die eigenen Erwartungen klarstellen
Im letzten Fall ist die Lösung ganz klar. Wer auch immer die Unterhaltung ins Leben gerufen hat, sollte als erstes direkt feststellen, worum es geht, welchen Ablauf alle weiteren Teilnehmer zu erwarten haben. Dazu gehört auch der Umfang beziehungsweise die Dauer der Unterhaltung. Da es vorher keine Erwartungen gab, hat dann jeder die Erwartungen des Organisators übernommen. Sie stimmen bei allen überein und werden also mit größter Wahrscheinlichkeit auch bei allen erfüllt. Wenn du nicht der Organisator bist, aber schon abweichende Erwartungen mitbringst, die du einfließen lassen möchtest, ist jetzt der richtige Zeitpunkt sie vorzubringen.
Erstaunlicherweise ist das eben beschriebene Vorgehen auch in anderen Fällen die beste Lösung. Kaum jemand bringt klar formulierte Erwartungen mit zu Unterhaltungen, bei denen man eigentlich davon ausgehen kann, dass sie auf verschiedenen Seiten unterschiedlich aussehen. Und sobald hier einer beginnt die eigenen Erwartungen auszusprechen, können die anderen sich daran orientieren und vor allem die Punkte beitragen, die ihnen wichtig sind aber noch nicht genannt wurden. Auch hier liegt die Chance dass alle Erwartungen erfüllt werden deutlich höher, als wenn jeder einfach (dummerweise) davon ausgeht, dass die anderen die eigenen Erwartungen teilen, und deshalb einfach mit der Besprechung begonnen wird, ohne sie vorher klarzustellen.
Warum liegt die Bürde des Festlegens (oder zumindest als-Erster-Ausprechens) der Erwartungen beim Organisator der Konversation? Ganz einfach. Er sollte doch wissen, was er eigentlich erreichen möchte. Nur wenn die Erwartungen klar sind, können diese Ziele auch erreicht werden. Und generell ist das einfach eine gute Angewohnheit, die sich jeder zulegen sollte: Wer die Unterhaltung beginnt, setzt auch die Erwartungen, sobald man welche benötigt. Und das ist schließlich fast immer der Fall.