Insbesondere wenn sie in Buchform verpackt sind, kann ich mich in letzter Zeit kaum dem Reiz von erfundenen Geschichten entziehen. Die letzten 8 Monate oder so, habe ich praktisch nur Sachbücher zu den verschiedensten, ziemlich spannenden Themen gelesen. (Denk nur die ganzen Buchempfehlungen auf diesem Blog.)
Aber vor zwei Wochen habe ich dann mal wieder eine Geschichte in die Hand genommen und wurde sozusagen mitgerissen. Ich habe sogar meinen Schlaf kompromittiert, um das Buch möglichst schnell fertig zu lesen. Anstatt mir mit dem Buch drei Tage Zeit zu lassen, hab ich in dieser Nacht einfach 4h weniger geschlafen. Und am nächsten Tag auch. Und danach nochmal. (Es gab noch 2 Folgebände.) Dann war glücklicherweise erst mal Pause: kein weiteres Buch direkt verfügbar, aber das Verlangen nach den (existierenden) Fortsetzungen war groß. Jetzt zwei Wochen später habe ich zwar die Fortsetzungen gefunden, aber der ungesunde Lesedrang hat glücklicherweise etwas nachgelassen. Ich kann mir jetzt glücklicherweise auch wieder genug Zeit zum schlafen nehmen, das Buch wird schließlich nicht weglaufen.
Woran die erste Reaktion wohl lag? Ich vermute, dass ich zu lange „gefastet“ habe. Eine gesunde Mischung von Sachbüchern und Geschichten ist sicherlich besser geeignet, um gleichzeitig dem Reiz von erfundenen Geschichten zu folgen und etwas neues zu lernen. Aber was genau ist jetzt überhaupt dieser Reiz? Was macht Geschichten lesenswert, wo sie doch dem Leser auf den ersten Blick gar nichts neues beibringen?
Der Reiz von erfundenen Geschichten
Je besser die Geschichte geschrieben ist, desto leichter kann man in die beschriebene Welt abtauchen, sich mit den darin dargestellten Personen identifizieren. Und umso mehr man abtaucht, umso mehr man sich mit den Personen identifiziert, desto stärker fühlt man auch mit. Man sorgt sich um die Personen, man verspürt Angst wenn sie in Gefahr sind und Freude wenn ihnen Glück widerfährt. Gleichzeitig kann man sich vielleicht sogar über den Humor des Autors belustigen. Richtig gute Geschichten erwecken also im Leser eine Menge Gefühle – kein Wunder, dass man immer weiter lesen möchte: Man fühlt (sich dabei lebendig). Und das Spektrum und die Stärke der erweckten Emotionen sind oft breiter und größer als alles, was man in seinem eigenen Leben die meiste Zeit erlebt. (Sicherlich wenn man gerade Zeit zum Lesen findet.) Allein das ist also oft schon Grund genug zum Bücherlesen, aber der Reiz von erfundenen Geschichten geht noch viel weiter.
Darüber hinaus können diese Personen, die man inzwischen so gern hat, hervorragend als Vorbilder herangezogen werden. Man muss sich niemanden in der echten Welt suchen und hat meistens sogar Zugriff auf ihre Gedanken, versteht also gleich auch die Intentionen hinter ihren Gedanken. Außerdem sind die meisten Charaktere ja schon cool. Man will so sein wie sie, zumindest in den ersten paar Gedanken. Später findet man dann meist schon noch ein paar Unterschiede, die einem wichtig sind, aber das spielt hier erst mal keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass diese Charaktere tatsächlich schaffen Rollen von Vorbildern in uns einzunehmen. Jeder hat Vorbilder und was gibt es für einen besseren Weg als sich diese Vorbilder in Büchern zu suchen? Sie können nicht weglaufen, die meisten Autoren erschaffen noch ein paar Folgebände, wo man sie noch näher kennenlernen kann, und oft verkörpern sie sowieso schon Eigenschaften, die der Autor für erstrebenswert hält. (Zumindest in den Büchern, die ich gerne lese. Anderweitige Verhaltensweisen werden dagegen deutlich verpönt.) Ist das für dich schon Grund genug auch selbst gelegentlich einen Roman zu lesen?
für Schriftsteller
… und andere Kreative gibt es sogar noch weitere wichtige Punkte, die ich unbedingt nennen möchte. Zum einen kann eine solche Geschichte deine eigene Kreativität unglaublich antreiben. Eine Geschichte ist angefüllt mit unzähligen Ideen, alle auf engstem Raum. Sobald man sich dessen bewusst ist, kann man sie bemerken und auf andere Bereiche übertragen, wo sie plötzlich zu deinen eigenen werden und vielleicht sogar ebenso gut oder noch besser sind. Gegen Ideen habe zumindest ich nie etwas einzuwenden und Geschichten sind in dieser Hinsicht eindeutig eine wahre Goldgrube.
Außerdem kann man sich beim Schreiben den Stil des Autors abschauen. Erkennen, welche Aspekte man mag, was man lieber selbst nicht so machen würde. Das hilft dabei den eigenen Stil immer weiter anzupassen und genau das zu schreiben, was man selbst am liebsten lesen würde. (Die beste Art zu schreiben.) Weiterhin gibt es da natürlich noch die ganzen Erzähltechniken, die der Autor benutzt, die aber in meinen Augen weit über Stil hinausgehen. Man könnte sie natürlich auch in theoretischem Unterricht erlernen, aber sie „in freier Wildbahn“ selbst zu entdecken und zu verstehen ist nochmal etwas ganz anderes. Man kann als Autor wirklich eine Menge von anderen Büchern lernen, die man persönlich ziemlich toll findet. Lass dir diese Gelegenheit also nicht entgehen! (Und falls du noch kein Autor bist, solltest du das natürlich schleunigst ändern. ;))
einen Mittelweg finden
Was mir jetzt klar geworden ist: ich möchte auch gelegentlich erfundene Geschichten lesen, sie sind einfach toll.
Gleichzeitig liegt mir aber auch etwas daran, jeden Tag etwas neues zu lernen, z.B. durch das Lesen in einem meiner unglaublich tollen Sachbücher. Und während man die eine Sache macht, kann man nichts anderes machen. Sicherlich ist das Lesen von zwei Büchern im selben Augenblick noch unmöglicher als andere Varianten von Multitasking. Wie immer muss man also abwägen: Wie möchte ich meine Zeit lieber verwenden? Ist mir Aktivität A wichtiger, oder doch eher B? Was sind meine Prioritäten?
Nur wenn man sich über solche Fragen klar wird, kann man ein einigermaßen entspanntes Leben führen. Vorher ist man nur viel zu sehr im Stress wegen all der Dinge, die man auch noch machen möchte, und all der wichtigen Dinge, die man immer noch nicht gemacht hat. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch wichtig einen Mittelweg zu finden und gelegentlich auch dem Reiz von erfundenen Geschichten Folge tragen, selbst wenn man direktes Lernen noch höher einschätzt! Auch das ist schließlich wichtig, wie ich hoffentlich eben gezeigt habe.
Also ist es jetzt an der Zeit für deine eigene Entscheidung! Wie willst du deine eigene Lesezeit aufteilen? (Falls du denn regelmäßig liest, was ich sehr empfehle.) In meinen Augen kommt es auf die passende Mischung an: nicht zu wenig von beiden Seiten der Medaille. Aber du musst natürlich deinen eigenen Weg finden.