Je nach Technik und Tradition hat Meditation unterschiedliche Ziele. Manche wollen sich zum Beispiel so stark konzentrieren, dass sie jeglichen anderen Gedanken völlig aus ihrem Kopf verbannen. Sie beruhigen sozusagen den Wirbel ihrer Gedanken und dabei bleibt es dann auch. Andere versuchen Achtsamkeit zu kultivieren. Das ist dann eine weitere Stufe über der Konzentration, bei der man lernt alles zu beobachten und hinzunehmen ohne es irgendwie zu werten. Man ist achtsam bezüglich dieser Sache und mehr nicht. Am Anfang trainiert man das vor allem anhand der zahlreichen Ablenkungen, die einem beim Meditieren unweigerlich begegnen. Später weitet man es auch auf andere Aspekte der Existenz aus. Das Ziel wird sogar ganz klar erklärt: Nie mehr die Achtsamkeit verlieren. Man trainiert sie beim Meditieren und nimmt sie dann mit in seinen restlichen Tag.
Ich persönlich bin beim Meditieren eher ein Fan der Achtsamkeit. Achtsamkeit ist ein unglaublich spannendes Konzept und hat ganz nebenbei noch Weisheit als Konsequenz: Sobald man genug beobachtet, kann man nämlich allein durch dieses Beobachten zum Grund der Dinge vordringen. Achtsamkeit lässt all die oberflächlichen Schichten in unserem Verstand einfach schmelzen, sodass man immer tiefer in sich selbst hinein blicken kann. Mit der Zeit versteht man, mit welchen Mechanismen unsere Emotionen funktionieren, wie ein Gedanke auf den nächsten folgt, wenn man ihn lässt, und natürlich noch viel mehr. Man erhält Verständnis dafür, wie man selbst funktioniert, und das überträgt sich natürlich auch auf die Funktionsweise anderer Menschen. Wir haben alle sehr viel gemeinsam und es geht sogar noch weiter: Alle Lebewesen atmen – auf die eine Art und Weise oder eine andere – und wir fühlen uns ihnen verbunden, wenn wir uns auf unseren eigenen Atem konzentrieren.
Achtsamkeit hat mit der Zeit als direkte Konsequenz die Weisheit. Allein das ist schon ein sehr erstrebenswertes Ziel.
Achtsamkeit geht aber noch viel weiter. Ihre wahre Macht entfaltet sie erst, wenn man sie aus der geschützten Umgebung einer Meditationssitzung herausholt. Achtsamkeit gibt dir die Macht jeden wachen Augenblick zu beobachten. Am Anfang wird es natürlich schon sehr schwierig sein den Zustand der Achtsamkeit beim Aufstehen vom Meditieren aufrecht zu erhalten. Dann wird man sich zuerst auf einzelne Aspekte des täglichen Lebens beschränken. Später kann man immer mehr und mehr gleichzeitig bemerken, bis man schließlich, als ultimatives Ziel, sein ganzes Leben, sein ganzes Sein achtsam beobachtet.
Wenn man an diesem Punkt angekommen ist, kann man es schaffen seine Achtsamkeit nie mehr zu verlieren. Dann ist man schon beim ersten Gefühl, beim ersten Gedanken achtsam, wenn man morgens aufwacht. Man beobachtet achtsam seinen Tag, seine Interaktionen mit anderen, seine innere Gefühlswelt. Und man ist noch achtsam, wenn man beobachtet wie man immer schläfriger wird und dann einschläft. Vielleicht ist man eines Tages sogar in ein paar der Träume wachsam, die man jede Nacht miterlebt und dann wieder vergisst. Davon habe ich bisher aber noch keine Erzählungen gehört.
Diese allumfassende Aufmerksamkeit ist etwas ganz besonderes. Sie führt zu ultimativem Verständnis für das Leben, unsere Rolle darin, die internen Mechanismen der Menschen. Sie führt zu Weisheit. In meinen Augen ist das ein höchst wertvolles Ziel. Ich strebe nach Weisheit. Ich kann es verstehen, dass man nie mehr seine Achtsamkeit verlieren möchte, wenn man sie oft genug erlebt hat.
Hier war auch gleich ein Hinweis zu entdecken, für die in meinen Augen einzige Art und Weise, wie man bis zu diesem Punkt kommen kann, an dem man seinen ganzen Tag über achtsam ist.
Es beginnt bei Meditation und wird dort jahrelang trainiert. Später versucht man es aus dem geschützten Bereich mitzunehmen und trainiert auch diesen Übergang. Man macht ganz bestimmte Aktivitäten, die man mit Achtsamkeit beobachtet, um ganz sanft an die Hektik des Tages zu gewöhnen. Später kann man während immer mehr verschiedenen Handlungen seine Achtsamkeit aufrecht erhalten, bis man schließlich den ganzen Tag übersteht. Die ultimative Achtsamkeit erhält man also nur durch Übung und diese Übung beginnt in Meditation.
Warum Meditation? Ganz einfach, weil sie uns einen absolut Reiz-armen Startpunkt gibt, wo man nicht völlig von Ablenkungen überrollt wird, wenn man versucht Achtsamkeit zu errichten. Man meditiert normalerweise an einem stillen Ort und baut zuallererst mal Konzentration auf. Dadurch eliminiert man alle äußeren Stimulationen und versucht auch die internen zu reduzieren. Mit ein bisschen Übung klappt das auch ganz gut. Dann kann man gelegentlich mehrere Sekunden überstehen ohne einen Gedanken zu denken und manche trainieren auch noch viel weiter.
An dieser Stelle wird dann aber spätestens die Achtsamkeit relevant. Man lernt jegliche Ablenkungen zu beobachten ohne darin zu versinken ohne Energie hineinzustecken. Man beobachtet sie einfach nur achtsam ohne sie zu füttern. Auf diese Weise werden sie schon bald wieder verblassen und uns nicht weiter bei der Konzentration stören. Und zu diesen Ablenkungen gehören natürlich auch Gedanken. Wer gut ist, kann es völlig unterbinden, dass auf einen Gedanken sofort der nächste folgt. Das passiert nämlich automatisch, wenn man den Gedanken aktiv denkt. Die einzige Verteidigung dagegen ist beobachten ohne einzugreifen. Der Gedanke verblasst wieder ohne Spuren zu hinterlassen. Die einzige Verteidigung ist Achtsamkeit.
Normalerweise funktioniert das folgendermaßen: Man sitzt völlig konzentriert da und ist auf das Strömen seines Atems konzentriert. Man beobachtet es achtsam. Plötzlich erscheint eine Ablenkung, die um unsere Aufmerksamkeit bettelt. Dem stellt Achtsamkeit auch erst mal nichts entgegen. Es folgt sanft dem Sog, beobachtet die Ablenkungen, kategorisiert und versteht sie. Sobald sie aber verstanden wurde, kehrt Achtsamkeit sofort wieder zum Atem zurück. Die Ablenkung wurde nur beobachtet nie reagiert. Dann verblasst die Ablenkung ganz von alleine und über kurz oder lang taucht die nächste auf.
Und so geht es immer weiter. Achtsamkeit beobachtet ohne zu interagieren, ohne Energie in Ablenkungen zu stecken und kehrt zum Objekt der Konzentration (Atem) zurück, sobald die Ablenkung verstanden wurde. Je öfter man dann eine Sorte der Ablenkung erlebt, desto klarer kann man sie in seiner Achtsamkeit sehen, desto tiefer dringt man bis zum Grund ihrer Mechanismen.
Logischerweise will man nie mehr seine Achtsamkeit verlieren. Sie führt direkt zur Weisheit.
Aber keine Sorge. Allein schon das bemerken, dass man gerade nicht achtsam war, ist schon ein Akt der Achtsamkeit. Jeder verzettelt sich mal in seinen Gedanken. Die meisten Menschen können sich sogar niemals daraus lösen. Achtsamkeit gibt dir eine Alternative und mit Übung wird sie immer dominanter.
Was hältst du denn eigentlich für die bessere Option: Den endlosen Kreisel belangloser Gedanken oder das achtsame Beobachten seiner inneren Welt?