Stufe 11: Die dunkle Nacht der Seele

Der Vorletzte Schritt auf dem Weg des Helden steht an: Die dunkle Nacht der Seele. Diese Formulierung gefällt mir einfach viel besser als Christopher Voglers Variante: Wiederauferstehung. Es geht schließlich um den abschließenden Höhepunkt, die Klimax der Geschichte, den Punkt an dem alles verloren scheint. Besser kann man es nicht beschreiben. Ich muss es gleich nochmal wiederholen: Die dunkle Nacht der Seele.

Die Position in der Geschichte ist klar. Wir befinden uns jetzt eindeutig im Akt 3. Danach kommt nur noch das Ende der Geschichte. Alles bisherige hat oder mehr oder weniger direkt auf diesen Punkt hin gearbeitet. Der Held hat das Abenteuer begonnen, die besondere Welt betreten, in ihrem Mittelpunkt die zentrale Prüfung bestanden und auch noch den Rückweg überlebt. Zeit all das in einem atemberaubenden Finale zusammenzuführen. Schaffst du das?

Die dunkle Nacht der Seele

Es handelt sich jetzt um die 2. große Prüfung. Zuerst galt es die zentrale Prüfung zu überstehen, vergleichbar mit den Halbjahresprüfungen eines Schuljahres, jetzt kommen die Prüfungen am Schuljahresende, also die schwierigste Prüfung überhaupt, der absolute Höhepunkt deiner Geschichte. Wenn jetzt nicht der Höhepunkt deiner Geschichte käme, hättest du irgendetwas falsch gemacht.

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist folgendes: die abschließende Schlacht? Welchen Konflikt hat dein Held angestoßen, der jetzt auf epischem Maßstab ausgetragen wird? Gibt es einen Weg ihn zu umgehen? Was ist der Einsatz? Wir brauchen auf jeden Fall einen höheren Einsatz als bei der zentralen Prüfung. Diesmal sollte nicht nur das Leben des Helden auf dem Spiel stehen. Wie wäre es mit dem Schicksal einer ganzen Welt?

Alle bisherigen Prüfungen sollten im Vergleich hierzu wie ein Kinderspiel aussehen. Wie wirst du das anstellen?

eine wichtige Warnung

Gelegentlich passiert es, dass es dem Autor als angemessen erscheint den Helden in dieser Phase nur noch als passiven Beobachter zu sehen. Die Geschehnisse sind nun eben auf einem viel zu großen Maßstab, als dass er etwas daran ausrichten könnte.
Das ist aber genau falsch. Gerade jetzt sollte der Held unbedingt aktiv sein. Wie kann er sonst glaubhaft die Geschichte zu einem guten Ende führen?

Man sollte dem Helden diese Verantwortung nicht abnehmen. Nur weil du als Autor Gott-ähnlich die Geschehnisse in der Welt der Geschichte beeinflussen kannst, heißt das nicht, dass du das auch solltest. Wie kann der Held selbstständig dafür sorgen, dass die Geschichte ein gutes Ende nimmt? Wie kann der Held in dieser entscheidenden Phase aktiv werden, anstatt nur passiv dabei zu zusehen, wie die Geschichte zu ihrem Ende kommt?

Das sind wichtige Fragen, die du als Autor unbedingt bedenken solltest. Tust du das nicht, wird dein Romanende möglicherweise unglaubhaft, und das fändest du doch sicherlich auch ziemlich ärgerlich, oder?

zwei Namen

Zum einen ist diese Phase der zweiten und letzten Prüfung natürlich die Chance für den Helden alle seine bisherigen Erkenntnisse erfolgreich anzuwenden und in sein Leben zu integrieren. Er braucht alles, was er auf dem Weg mitgenommen hat, um diese schwierigste aller Prüfungen zu bestehen. Seine Hoffnung auf überleben ist bei einem absoluten Tiefpunkt angekommen. Deshalb auch der Name: Die dunkle Nacht der Seele.

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch die Elastizität der Emotionen betrachten. Nach diesem Tiefpunkt wird unweigerlich ein ziemlich hohes Hoch kommen. Der einzige Weg das zu vermeiden wäre den Helden die Schlacht nicht überleben zu lassen. Aber normalerweise passiert das nicht. Tragödien sind zum Glück eher die Ausnahme nicht die Norm. Jedenfalls kommt danach also direkt ein Hoch. Was gibt es zu feiern? Natürlich die Wiedergeburt des Helden.

Wiederauferstehung

Das ist der alternative Name für diese Phase auf dem Weg des Helden. Hierbei geht es jetzt eher um psychische Aspekte und weniger um die tatsächlichen Prüfungen, die der Held zu überwinden hat. Vielleicht spielt diese Phase in deinem Buch ja komplett in der Psyche des Helden, auch das ist aber eher selten.

Reinigung und Veredelung

Im Laufe der Geschichte hat der Held unweigerlich Veränderungen seines Charakters erfahren. Manche Aspekte wurden bereits ausgemerzt, hoffentlich Mängel. Andere wurden schon in seinen Charakter integriert, hoffentlich gute Dinge. Die letzte, abschließende Veredelung steht noch aus.

Dafür hast du jetzt die perfekte Möglichkeit: Ein Konflikt ist die plausibelste Erklärung für Änderung des Verhaltens. Gleichzeitig ist das aber auch deine letzte Chance den Helden zu Verändern. Danach kommt das Ende der Geschichte, das Ende aller Veränderung, zumindest auf diesem Abenteuer.

Du stehst also vor einer wichtigen Entscheidung: wie wirst du deinen Helden verändern? Welche neuen Eigenschaften soll er erhalten? Welche alten wird er behalten? Welche Makel bleiben für die nächsten Abenteuer übrig? Du kannst ihn nicht zu einem perfekten Menschen machen. Das wäre eindeutig unglaubhaft.

Genauer gesagt gibt es keine perfekten Menschen. Jeder Mensch hat Makel und Charaktere die menschlichen wirken sollen also auch. Kennst du deine eigenen Makel? Wie werden die Makel des Charakters deutlich?

Erhält der Held eine neue Personalität oder bleibt sie ziemlich unverändert?

Wie werden die Dinge, die der Held in der zentralen Prüfung erlernt hat, gefestigt und gereinigt? Wir wollen doch nicht, dass irgendwelche negativen Nebeneffekte übrig bleiben.

Veränderung zeigen, nicht behaupten

Wie immer reicht es beim Geschichten erzählen nicht aus einfach nur zu behaupten, dass etwas passiert. Man muss es zeigen. Je mehr der Leser selbst interpretieren muss, was die Beobachtungen bedeuten, desto mehr wird er sich in die Geschichte hinein versetzen, desto mehr wird er sich mit dem Helden identifizieren.

Genauso ist es auch bei den Veränderungen im Verhalten des Helden. Es reicht nicht, wenn du als Autor behauptest, dass er sich verändert hat. Es reicht auch nicht, wenn ein anderer Charakter es über ihn behauptet oder der Held selbst es bemerkt und ausspricht. Die Veränderung im Helden muss durch sein Verhalten klar werden.

Wenn du es richtig anstellst, ist das gar nicht so schwer. Echte Veränderung zeigt sich immer in einem anderen Verhalten.
Was hat dein Held also in der letzten Prüfung gelernt, das sich deutlich in seinem Verhalten zeigt? Wie kannst du die Veränderung durch sein Verhalten aufzeigen?

Das sind die wichtigen Fragen. Die oberste Kunst des Geschichtenerzählens ist schließlich folgende: zeige statt zu erklären.

tragische Helden

Das einzige Problem haben wir bei tragischen Helden, also Helden, die sterben, bevor sie etwas dazulernen können.

Hier müssen alle anderen Charaktere aus dem Opfer des Helden etwas lernen. Ihr Verhalten muss widerspiegeln, was sie sich zu Herzen genommen haben.

Erst dann kann der Kreis im letzten Schritt auf dem Weg des Helden geschlossen werden.

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