Wie abstrakte Sprache Komplexität erschafft

Abstrakte Sprache markiert den Startpunkt menschlicher Geschichte. Unsere Art hat sie vor etwa 70000 Jahren erlernt. Seitdem ist unser Lernfortschritt als Spezies exponentiell vorangeschritten. Diese Eigenschaft stellt den einen relevanten Unterschied zu anderen Arten dar, der uns einen großen Vorteil bietet. Andere Arten sind stärker, schneller, und so weiter. Aber uns Menschen hat die Evolution ein Gehirn geschenkt, das abstrakte Sprache beherrscht. Auch Delphine können das vielleicht, aber bis jetzt hat man noch keinen Beweis für ihre Sprache gefunden.

Würde man einem Menschen, der vor mehr als 70000 Jahren gelebt hat, versuchen unsere heutige Sprache beizubringen, würde er es nicht verstehen können. Genauso wenig, wie wir die Sprache verstehen könnten, die er mit seinen Freunden verwendet, die zur selben Zeit leben. Erst eine Veränderung in der Struktur unseres Gehirns macht das möglich. Sozusagen eine kognitive Revolution, die eine Menge Fähigkeiten und Konzepte in unsere Reichweite bringt, die uns vorher verschlossen waren. Die Abstrakte Sprache, die wir seitdem verwenden können, ist der Ursprung der Komplexität, die uns in unserer heutigen Welt umgibt.

Abstrakte Sprache

Abstrakte Sprache kann etwas, das keine andere Sprache davor konnte: Von Dingen reden, die nicht vor unseren Augen existieren: abstrakte Konzepte. Anstatt mit bestimmten Lautfolgen real existierende Gegenstände und vielleicht auch Aktionen oder Tageszeiten zu beschreiben, werden jetzt Ideen, Konzepte, Beziehungen kodiert. Das ermöglicht viel komplexere, genauere Aussagen mit deutlich höherer Informationsdichte. Offensichtlich ein deutlicher Vorteil, sobald man die Auswirkungen erkannt hat.

Stell dir folgende Situation vor: Du sammelst gerade Essen in der Nähe eines Flusses in der Steppe und entdeckst dabei frische Löwenspuren. Du eilst zu deinem Stamm zurück und willst sie vor dem Löwen warnen. Ohne abstrakte Sprache kannst du nicht viel mehr sagen als, „Löwe, diese Richtung“ und zu den Spuren deuten, die du gefunden hast. Mit abstrakter Sprache, kannst du die Tageszeit nennen, dass es nur die Löwenspuren waren, sie aber frisch sind, und den genauen Ort beschreiben, auch wenn dein Stamm keinen expliziten Begriff dafür hat. Im zweiten Fall wird deutlich mehr relevante Information auf eine viel effizientere Art und Weise übertragen. Jetzt kann sich jeder angemessen verhalten und nach weiteren Zeichen des Löwen Ausschau halten, anstatt vor dem Löwen wegzurennen, von dem sie denken, dass du ihn dort hinten abgehängt hast. (Oder was auch immer die anderen denken, nachdem du ohne abstrakte Sprache auf sie eingeredet hast.)

Abstrakte Sprache kann auch zum Beispiel mit Nebensätzen Beziehungen zwischen Informationsbrocken klar machen und allein dadurch noch mehr Information vermitteln. Wir benutzen sie den ganzen Tag ohne uns ihrer Macht so wirklich bewusst zu sein. Versuch doch mal auch nur einen Satz zu formulieren, in dem du nur Wörter benutzt, die sich direkt auf Gegenstände beziehen, die du schon mal gesehen hast. Sogar wenn du dazu noch Verben erlaubst, die simple Aktionen beschreiben, die du selbst ausführen kannst, ist das immer noch eine schwierige Aufgabe. Sobald du etwas komplexes erklären willst, wird es unmöglich. Hier wird es dir dann langsam beginnen zu dämmern, was denn eigentlich alles möglich ist mit unserer tollen, komplexen Sprache.

Abstrakte Konzepte entwickeln

Nicht nur kann unsere abstrakte Sprache Wörter für Konzepte entwickeln, die in der Realität nicht existieren, man kann diese Konzepte auch an andere Kommunizieren und gemeinsam weiterentwickeln. Ob mit oder ohne Partner. Auf der ersten Idee aufbauend, die du gerade in Worte gefasst hast, kannst du immer weitere Ideen entwickeln, die sich nur mit der ersten Idee erklären lassen. Und auf diesen aufbauend noch weitere Ideen. Und so weiter.

Ziemlich schnell entwickelt sich ein Baum der Komplexität. Abstrakte Konzepte, die man nur verstehen kann, wenn man vorherige abstrakte Konzepte verstanden hat, die wiederum auf anderen Konzepten beruhen. Seit der Entstehung der abstrakten Sprache hat sich der Schwerpunkt von Lernen von Versuch und Irrtum, um neue physische Fähigkeiten zu meistern, zum verstehen immer neuer Konzepte verschoben. Es geht darum den Baum der Komplexität zu erklimmen, den unsere Spezies seitdem immer größer und weiter hat wachsen lassen.

Das bietet unglaublich viel Verständnis. Modelle, die die Welt um uns herum besser beschreiben, als es die Versuche eines einzelnen Individuums ohne Vorwissen jemals könnten. Wir stehen sozusagen auf den Schultern von Giganten, um mal Isaac Newton zu paraphrasieren. Wer könnte dazu Nein sagen?

Erfindungen

Und nicht nur das. Abstrakte Sprache ermöglicht uns auch Pläne, die wir uns selbst überlegt haben (vielleicht auch erst durch abstrakte Sprache möglich?) mit anderen zu kommunizieren, abzustimmen, vermutlich sogar zu verbessern. Erst die Möglichkeit die verschiedenen Beziehungen zwischen den Aspekten des Plans, ihre Reihenfolge, warum diese Version so wichtig ist, etc. mitzuteilen, macht Zusammenarbeit erst so richtig möglich. Außerdem kann man jetzt plötzlich absichtlich Dinge erfinden. Anstatt aus Zufall darauf zu stoßen, kann man sie vorher konzeptionieren, mit anderen überarbeiten und dann gezielt erschaffen. Dem Fortschritt steht nichts mehr im Weg.

imaginäre Welten

Außerdem wird noch etwas beeindruckendes möglich. Wie gesagt kannst du jetzt Konzepte erschaffen und beschreiben, die über die reale Welt hinausgehen. Du kannst sie zusätzlich dazu auch noch an andere weitergeben. Das hat einen genialen Effekt: Viele Individuen, die die selbe Sache über die Welt glauben. Ein Konzept wird praktisch Realität, weil alle an seine Existenz glauben, egal, ob es jetzt physikalisch existiert oder nicht.

Das führt zu weitreichender Kooperation. Mengen an Individuen, die weit über einzelne Freundeskreise hinausgehen, können gemeinsam an großen Projekten arbeiten und sie verwirklichen, weil sie an gemeinsame Geschichten glauben, die diesen Projekten einen Sinn geben, die allen erklären, was sie machen sollen und warum. Derartige Kooperation war vorher nicht möglich und ist jetzt der Grundstein unserer Welt. Es ermöglicht Nationen, Religionen, Wissenschaft in Form der gemeinsamen Geschichten, die erzählt werden und an die alle glauben. Es ermöglicht exponentielles Lernen.

Auch du kannst diese Macht ausnutzen. Man redet nicht umsonst von der Macht der Schriftsteller ganze Universen zu erfinden. Hast du das schon mal versucht? Eine Geschichte schreiben, um eine Welt zu erschaffen. Das ist ein berauschendes Gefühl. Die beste Verwendung deiner Kreativität. Jeder sollte es mal machen, um sich der Macht von abstrakter Sprache bewusst zu werden.

Und ansonsten gilt: Nutze diese Sprache um neue Konzepte mit anderen zu kommunizieren und unser Wissen als Spezies zu verbreiten. Beteilige dich an der Macht, die uns zuteil geworden ist.

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