Man muss jedes Buch ein bisschen anders Lesen

Ist das nicht ein wenig übertrieben? fragst du dich vielleicht. Lesen funktioniert doch immer gleich, wie kann man da einen Unterschied machen? fragt vielleicht jemand anderes. Nun ja. Denk doch mal an all die Bücher, die dir nicht gefallen haben. Warum haben sie dir nicht gefallen? Sie waren wohl einfach nicht dein Lieblingsgenre. Zu viel Romantik, zu wenig Spannung, keine epische Geschichte, viel zu realistische Figuren, was auch immer. Du hast eine Lesegewohnheit und der hat es nicht entsprochen. Aber sogar die Bücher, die du „magst“, gefallen dir an unterschiedlichen Tagen zu unterschiedlichen Zeiten verschieden gut. Woran liegt das jetzt wieder? Es hat alles mit meiner These zu tun: Man muss jedes Buch ein bisschen anders Lesen.

Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Zu jedem Buch gehört eine optimale Geisteshaltung, in der man das meiste daraus mitnehmen kann, in der man am tiefsten in die Geschichte eintauchen kann. Diese Geisteshaltung ist für jedes Buch ein bisschen anders. Und du hast natürlich auch eine innere Einstellung, während du ein Buch liest. Das kannst du nicht ändern, du kannst nur die Einstellung ändern.

Genau das machen aber nur die wenigsten bewusst. Anstatt Kontrolle über ihre innere Einstellung zu all den Dingen, denen sie in der Welt begegnen, zu haben, hat diese innere Einstellung die Kontrolle über sie. Warum? Ganz einfach: Deine Einstellung bestimmt, wie du Sinneseindrücke interpretierst. Sie bestimmt dadurch also, wie du über die Welt fühlst, auf welche Weise du deine Erlebnisse erklärst. Eigentlich bestimmt sie deine ganze Realität.

Die wenigsten verändern also bewusst etwas an ihrer Einstellung. Sie ist lediglich das Produkt aus der Erziehung und allen Erlebnissen der einzelnen Person. Vielleicht ist sie sogar durch ihre DNA in gewissen Richtungen vorprogrammiert. Aber selbst das kann überschrieben werden. Unser Gehirn ist unglaublich flexibel. Da hat DNA wenn überhaupt nur ein winziges bisschen mitzureden.

Wenn du dich einfach treiben lässt, hast du aktuell ehrlich gesagt auch nicht all zu viel mitzureden. Deine Geisteshaltung folgt dann direkt aus den eben genannten Aspekten, deiner Vergangenheit eben. Aber du musst dich nicht von den Ereignissen deiner Vergangenheit bestimmen lassen. Du hast ein Bewusstsein, du kannst einen anderen Weg wählen!

Du kannst dich dafür entscheiden eine andere Geisteshaltung einzunehmen. Ich warne dich am besten jetzt schon mal vor: Das ist viel Arbeit. Das erfordert proaktives Handeln, was das eindeutige Gegenteil von allem ist, was du bisher in dieser Richtung gemacht hast. Es ist wirklich anstrengend, aber auch ganz klar machbar.

Eine simple Technik ist zum Beispiel den ganzen Tag über seine Aufmerksamkeit ganz bewusst auf Details zu lenken, die man in Zukunft öfter wahrnehmen möchte. Zum Beispiel, indem man Murmeln oder andere Markierungen von einer Hosentasche in die andere befördert und sich am Abend zurück-erinnert für welches Erlebnis, für welche Beobachtung das geschehen ist. So kann man Dankbarkeit trainieren oder ein Auge für die natürliche Schönheit der Welt.

Beim Lesen von Büchern ist aber noch etwas ganz anderes wichtig. Immerhin muss man jedes Buch ein bisschen anders lesen. Du kannst dir nicht wochenlang eine neue Geisteshaltung antrainieren, nur weil du ein neues Buch lesen möchtest. Das wäre nun wirklich etwas zu viel Aufwand.

Vielmehr ist Offenheit zu empfehlen. Wenn man all seine Erwartungen fallen lässt und etwas erst mal auf sich wirken lässt, dauert das ganze vielleicht etwas länger, aber dafür bekommt man dann umso mehr dafür. Offenheit ist der Schlüssel zu den meisten Dingen, die dir aktuell verschlossen bleiben, weil du mit der falschen Einstellung herangehst. Und glaub mir, das sind eine ganze Menge.

Offenheit beim Bücher lesen, erlaubt dir dann deine Erwartungen abzulegen, wie ein Buch aufgebaut sein muss, auf welche Details es wert legen sollte, welche Emotionen es im Leser weckt, und zahlreiche andere Unterschiede, die dir vielleicht sehr ungewöhnlich erscheinen. Du kannst das Buch auf dich wirken lassen ohne davon aufgehalten zu werden, wie Bücher in deiner Erfahrung bisher funktioniert haben. Normalerweise ist das nämlich alles, was dich davon abhält ein eigentlich gutes Buch zu genießen: Deine Lesegewohnheit. Du bist einfach daran gewöhnt eine bestimmte Sorte Bücher zu lesen, alles andere kannst du vielleicht erst nicht nachvollziehen.

Offenheit gibt dir dann also die Augen eines Kindes, mit denen du jedes Buch, jedes Kunstwerk neu erfahren kannst ohne von vorherigen beeinträchtigt zu werden. Durch Offenheit findest du ganz schnell zu der Erwartungshaltung, die für das spezielle Buch, das du gerade in der Hand hast, relevant ist. Du lässt dich nicht auf die Standarderwartungshaltung einschränken, sondern kannst so auch neue Genres für dich entdecken.

Zu Anfang bist du vielleicht nicht so ganz überzeugt und ich will dich auch sicherlich nicht dazu zwingen nie wieder ein Buch aus der Hand zu legen, von dem du nicht so ganz überzeugt bist. Aber du kannst so eine viel größere Bandbreite von Erfahrungen machen. Dinge Lernen, von denen du vorher noch nicht einmal gehört hast. Andere verstehen, die einen anderen Büchergeschmack haben als du: Auch sie haben einfach irgendwo angefangen und sich dann daran gewöhnt.

Du kannst deine eigenen Grenzen überschreiten. Das alleine ist doch schon ziemlich cool.

Aber viel wichtiger: Bücher sind absolut bewundernswert. In ihnen steckt so viel Weisheit, so viel von den Erlebnissen anderer Menschen. Willst du dir wirklich 99.9% davon entgehen lassen, nur weil du zu fixiert auf deine aktuellen Lesegewohnheiten bist?

Bücher sind eine ganz andere Welt. Je mehr verschiedene Bücher du liest, desto mehr erkennst du die Vielfältigkeit ihrer Gestalt. Desto mehr verschiedene Genres kannst du aus deiner eigenen Erfahrung beschreiben. Desto besser verstehst du, was ein gutes Buch ausmacht.

Das ist ein Pfad, der es wert ist gegangen zu werden. Und so viel Zeit erfordert das auch gar nicht. Schaffst du es, in deinem Leben genug Freiraum zu finden, um alle 2 Wochen ein Buch fertigzustellen? Das sind (natürlich je nach Buch und deiner Lesegeschwindigkeit) weniger als 30 Minuten pro Tag. Es gibt bestimmt zahlreiche Aktivitäten, die du stattdessen einfach nicht machen könntest.

Nun ja, das ist wohl dir selbst überlassen. Möchtest du die faszinierende Welt der Bücher erkunden, oder bist du noch zu geschädigt von Lektüren, auf die du dich in der Vergangenheit nicht einlassen konntest? Bücher lesen erfordert Offenheit. Nur so kannst du jedem einzelnen Exemplar gerecht werden. Immerhin muss man jedes Buch ein bisschen anders Lesen!

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